Achtsamkeit lernen: Das mache ich jetzt für mich
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Achtsamkeit lernen: Das mache ich jetzt für mich

  • Achtsamkeitstraining hilft vorbeugend, aber auch bei Stress, chronischen Schmerzen, Schlafstörungen, depressiven Verstimmungen und Ängsten.

  • Achtsamkeitstraining ist auch ein Burn-Out-Vorsorge-Konzept.

  • Es setzt sich aus vier Elementen zusammen: Wahrnehmung (vor allem Körperwahrnehmung), Umgang mit Gedanken und Gefühlen, Meditationstechniken und Kommunikation.

  • Kurse sollten nur unter Anleitung durchgeführt werden, da sie nicht für jeden geeignet sind.

Achtsamkeit ist ein Begriff, der seit Jahren durch die Medien geistert. Er beschreibt den Zustand, in dem die Welt ohne ablenkende Gedanken wahrgenommen wird. „Wieder erlernte, geübte Selbstfürsorge wäre für mich das bessere Wort“, sagt Mag.a Anna-Monika Unterberger, Psychologin und Psychotherapeutin. Sie ist ausgebildete Expertin für MBSR („Mindfulness-Based Stress Reduction“). Auf Deutsch: „Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion“.

Ursprünglich wurde dieses Programm für Schmerzpatient*innen entwickelt. Inzwischen hat sich jedoch gezeigt, dass ein MBSR-Training bei einer Vielzahl von Beschwerden und in der Vorsorge hilfreich sein kann. Etwa bei chronischen Schmerzen, Blutdruckbeschwerden sowie Schlaf- und Angststörungen. Es kann aber auch begleitend bei verschiedenen psychosomatischen Problemen, oder bei Schuppenflechte, Diabetes oder einer Krebserkrankung eingesetzt werden. Außerdem eignet es sich hervorragend als Burn-Out-Vorsorge.

„Achtsamkeit ist jedoch keine Heilslehre“, ergänzt Mag.a Regina Anderl, Psychologin im Gesundheitspark Barmherzige Schwestern Linz. „Aber sie fördert den ‚akzeptierenden Blick‘ auf die eigene Lebenssituation“. „Das sehen was ist, und nicht das, was meine Wunschvorstellungen sind – es mir schönreden“, beschreibt es Mag.a Unterberger.

Acht Wochen zur Achtsamkeit

Achtsamkeitskurse helfen, diese Akzeptanz zu erreichen. Sie dauern meist acht Wochen, mit je einem Termin pro Woche. Ihr Inhalt setzt sich aus vier großen Bausteinen zusammen:

1. Bewusste Wahrnehmung – um die Sinne zu schärfen, vor allem auch die eigene Körperwahrnehmung.

2. Selbstbeobachtung – um mehr über den Umgang mit den eigenen Gefühlen zu erfahren.

3. Meditation – um sich selbst, im besten Sinne, „gedankenlos“ zu erleben.

4. Umgang mit Kommunikation – vorwiegend mit Körpersprache und Mimik.

„Der Kurs folgt der Entwicklungspsychologie des Menschen“, erklärt Mag.a Unterberger. Ganz am Anfang stehen Wahrnehmungsübungen. „Das beginnt schon damit, wie ich Speisen oder Nahrungsmittel zu mir nehme. Wie fühlt sich etwa eine Rosine an, wenn ich sie halte? Macht diese ein Geräusch? Was spüre ich, wenn ich sie in den Mund nehme – ohne sie zu kauen oder zu schlucken?“

Um die Selbstbeobachtung zu fördern, erhalten die Teilnehmer*innen „Hausaufgaben“. „Sie beobachten sich eine Woche lang selbst und notieren, wie sie mit Trauer, Angst, Wut und Liebe/Freude umgehen. Diese Art von Beschäftigung mit den eignen Gefühlen sorgt häufig für einen Aha-Effekt. „Eine Teilnehmerin ist im Zuge des Kurses zur Erkenntnis gekommen, dass sie sich alles schönredet“, erzählt Mag.a Unterberger.

Eine wichtige Säule beim Achtsamkeitstraining sind verschiedene Formen der Meditation, die geübt werden. „Gedanken erzeugen wahnsinnig viel Stress – nämlich WIE und WAS wir über etwas denken", betont Mag.a Unterberger, die ergänzt: „Diese Denkerei sorgt zwar für Orientierung und hilft uns, Dinge einzuordnen. Wird daraus jedoch ein ständiges Bewerten und Beurteilen ein sich Sorgen machen entsteht ein Gedankenkarussell. Viele belastete Menschen kennen dieses Phänomen gut. Es führt unter anderem zu Stress und Schlaflosigkeit. Deshalb geht es bei der Meditation darum, sich nicht mit diesen Gedanken zu verbinden, sondern zu lernen diese vorbeiziehen zu lassen.“ Eine der Methoden, die die Psychologin einsetzt, ist der „Bodyscan“. Bei diesem sollen die Teilnehmer*innen schrittweise ihren eigenen Körper spüren, ohne sich dabei von Gedanken und Gefühlen stören zu lassen. „Eine Meditationstechnik, der auch Männer viel abgewinnen können, weil sie nichts ‚Esoterisches‘ an sich hat und eine sehr einfache, bodenständige Art ist, um zu Ruhe und Entspannung zu kommen.“

Körpersprache und Mimik stehen beim Umgang mit Kommunikation im Mittelpunkt. Am Beispiel einer „Konfrontation“ mit einem anderen Menschen, werden vier unterschiedliche Kommunikationsstile deutlich. „Mauern, sich wegducken und der sofortige Gegenangriff sind typische Reaktionen“, so Mag.a Unterberger. „Einander auf Augenhöhe zu begegnen wäre das Ziel, und natürlich der Idealfall“. Um die verschiedenen Arten des Umgangs deutlich zu machen, werden in den Kursen ein paar Techniken der friedfertigen asiatischen Kampfkunst Aikidō eingesetzt. „Auch da kommt es oftmals zu wichtigen persönlichen Erkenntnissen.“

Nach Abschluss des Kurses sollte das Achtsamkeitstraining allerdings noch nicht zu Ende zu sein. Damit sich die Wirkung entfalten kann, setzt man auf die einen oder anderen (kleinen) Alltagsveränderungen. So ist es schon hilfreich Mahlzeiten nicht im Vorbeigehen einzunehmen, sondern sich bewusst etwas mehr Zeit dafür zu nehmen. Nicht ständig Multitasking zu betreiben. Öfter mal an einen Bodyscan denken, und ihn machen – besonders in schwierigen Zeiten. Dinge einfach bewusster, mehr im Hier und Jetzt tun. Es sind die kleinen Veränderungen, die in Summe viel bringen. „Das bestätigen auch immer wieder ehemalige MBSR-Kurs-Teilnehmer*innen“ so Mag.a Unterberger.

Die Welt bewusster wahrnehmen – ein wichtiges Element der Achtsamkeit.

Die Welt bewusster wahrnehmen - ein wichtiges Element der Achtsamkeit.

Nicht für jeden geeignet

Was beim Thema Achtsamkeit oft vergessen wird, ist die Tatsache, dass Achtsamkeits- bzw. MBSR-Kurse eine gewisse körperliche und seelische Grundstabilität voraussetzen. „Durch die Tiefenentspannung können auch unangenehme Dinge wieder an die Oberfläche gelangen“, warnt Mag.a Unterberger. Bei sehr schweren psychischen Problemen oder einer akuten Depression kann Achtsamkeit etwa mehr schaden als nützen. Im Zuge einer Chemotherapie, bei der der Körper bereits sehr gefordert wird, ist ein Achtsamkeitstraining ebenfalls nicht empfehlenswert.

Aufgrund dieser Gegenanzeigen steht Mag.a Unterberger den immer beliebteren Achtsamkeits-Apps für das Smartphone kritisch gegenüber. Zum einen, weil sich Menschen mit Achtsamkeitsmethoden auseinandersetzen, die diese in ihrer aktuellen Verfassung nicht nutzen sollten. Und zum anderen auch aus prinzipiellen Überlegungen: „Eine Meditation im Zuge eines Achtsamkeitskurses sollte immer von einer Lehrerin/einem Lehrer geführt werden“, betont Unterberger. „Gestresste, belastete Menschen sind es oftmals nicht mehr gewohnt sich selbst zu spüren, wahrzunehmen. Da tauchen dann auch Unsicherheiten, Fragen auf, auf die es Antworten braucht. Dafür ist dann der MBSR-Lehrer da“. Deswegen sind bei der MBSR-Ausbildung mindestens zwei Jahre Meditationserfahrung nötig.

Bei Mag.a Unterberger ist es inzwischen 14 Jahre her, dass sie Meditation für sich entdeckte. Damals als sie selber in einer persönlichen Krise war, kam sie durch eine gütige Fügung zu einer traditionellen, religiösen Meditationsform. Dank dieser konnte sie sich wieder „auf die Beine stellen“. Dieser Erfolg weckte in ihr den Wunsch, diese Meditation auch anderen Menschen zu vermitteln. Auf der Suche nach einer solchen nicht-konfessionellen Meditationsform entdeckte sie MBSR und ließ sich zur MBSR-Lehrerin ausbilden. Wertvolle Erfahrungen, die keine Smartphone-App bieten kann.


Autor
Redaktion Gesundheitspark
Veröffentlichungsdatum
30.03.2022
Foto: Radu Florin - unsplash

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